Quantcast
Channel: Ishtars Blog » Tod
Viewing all articles
Browse latest Browse all 4

De mortuis nil nisi bene

$
0
0

demortuis

Über die Toten, befanden die alten Römer, solle man nichts ausser Gutes reden. Irgendwie erscheint es passend, diesem Artikel ein Latein-Zitat voranzustellen, denn Latein gehört zu den wenigen Dingen die ich meinem Vater verdanke, wenn ich ihn auch in der 6. Klasse dafür gehasst habe. Alle meine Freundinnen und Freunde hatten Französisch, ich musste Latein nehmen. (Und bis heute würde ich gern mit der gleichen Leichtigkeit Französisch sprechen, mit der ich Englisch quasi inhaliert habe): Dass es möglich wäre, haben mir spätere freiwillige Französischstunden gezeigt.

Latein allerdings war zunächst eine Qual, denn wenn es etwas gibt, das mir unendlich schwer fällt, dann auswendig lernen, ich lerne in Zusammenhängen. Was mir allerdings Latein an sprachlichen Zusammenhängen und Grammatikverständnis bringen würde, abgesehen von der besten Abitur-Klausur im LK Latein, konnte wohl niemand voraussehen.

Dennoch gehe ich mit den alten Römern nicht konform, was die Toten (oder im konkreten Fall wohl eher Untoten) angeht. Dinge zu verschweigen und schön zu reden nutzt niemandem. Die Wahrheit, so schmerzhaft sie auch sein kann, sollte man aussprechen dürfen, selbst wenn sich dabei rausstellt, dass jemand vielleicht nicht das war, was man dachte.

In gewisser Weise bin ich froh, dass mir keine Toten- und Gedenkfeier bevorsteht, bei der jemand versucht eine schöne Rede zu schreiben und meinen Vater zu würdigen. Stattdessen habe ich die Gelegenheit vor einigen Wochen genutzt, um mit meiner Tante über O. zu sprechen, meine Tante G., seine ältere Schwester, und die Person, die in den letzten Jahren trotz einiger tausend Kilometer Entfernung den häufigsten und engsten Kontakt zu ihm hatte, besonders nachdem U. gestorben war.

Bezeichnenderweise hat er sie angerufen, als er Hilfe brauchte. Was sie von seinen letzten Lebensjahren erzählte, war vor allem erschreckend im Hinblick auf die Lügen, die er sich und anderen aufgetischt hat.

Er war der große Held, der immer nur gegeben hat… das beginnt bei der Eigentumswohnung, die meine Mutter und ich finanziert haben – er hat die Küchenmöbel spendiert, nachdem wir ihn gebeten haben; in seiner Darstellung gegenüber seinen Freunden hat er die gesamte Wohnung bezahlt. Das geht weiter mit so vielen kleinen und großen Täuschungen, Widerwärtigkeiten, dass ich gar nicht weiss wo anfangen und aufhören. Er war schon immer ein arroganter Widerling (bzw. meines Erachtens jemand mit einem überkompensierten Minderwertigkeitskomplex), und das wurde mit dem Tumor auf der Nebenniere nicht besser… selbst G. sagte, er sei unausstehlich gewesen, hat mir Beispiele erzählt, die mich haben schlucken lassen.

Nie hätte ich mir vorstellen können, dass der Offizier und Gentleman O. auf andere ältere Menschen eindrischt, weil ihm etwas nicht schnell genug ginge; aber ich bin auch froh, ihn nicht unter Dauerschmerzen und Medikamenten kennengelernt zu haben, bis auf wenige Ausnahmen und jenes denkwürdige Gespräch, bei dem ich den Kontakt für immer abbrach.

Interessant war auch noch einmal der (Rück-) Blick auf seinen körperlichen Zustand. Die ganze Kreuzfahrt-Geschichte war mehr als eigenartig; G. hat meinen Verdacht bestätigt, dass er unmöglich in der Lage gewesen wäre, eine hohe Reling zu überklettern. Er konnte sich ohne Krücke nicht fort bewegen, und doch stand seine Krücke am Morgen in der Kabine… das lässt eigentlich nur einen Schluss zu: dass seine Reisegefährtin beteiligt war, denn des Nachts in der Bar muss er die Krücke bei sich gehabt haben.

O. hatte kein Gefühl in den Fingern / Händen, konnte sich nur mit Mühe Schuhe mit Klettverschluss selbst zumachen – dass er seine 75 oder 80 Kilo Gewicht über eine mannshohe Reling gezogen hat, ist schlicht nicht drin. Die Reisebegleiterin muss ihm geholfen haben. Es tröstet mich nicht, es macht mich nicht wütend… aber es ist eine Tatsache, die trotz allem irgendwie ein komisches Gefühl hinterlässt.

Das Gespräch tat dennoch gut; es hat offene Enden abgeschlossen, mich ein paar Sachen in der Familie anders sehen lassen, und ich habe begriffen, dass ich G., zumindest die G. von heute, durchaus mögen kann; sie ist immer noch nicht mein Fall, aber sie ist ein zäher Brocken, und wir haben viele Gemeinsamkeiten, ich mag ihre toughe Art. Nun habe ich auch endlich ein Gesamtbild von der Auseinandersetzung zwischen ihr und meiner Patentante (ihrer Halbschwester) und dem dazugehörigen Onkel, und das ergibt endlich Sinn. Obwohl die beiden mir in meinen Jugendjahren sehr nah waren und im Rahmen ihrer Möglichkeiten für mich da, ist mir die kosmopolitische Amerikanerin (und mittlerweile Uroma) mit einem gesunden Sinn für Sarkasmus und Take-it-or-leave-it heute näher.

So hat das langsame Sterben meines Vaters dann vielleicht doch zumindest ein Gutes: ich kann mit meinen eigenen Dämonen und meiner Familie einigermassen sauber abschliessen. Ich verstehe vieles besser, und weiss auch – nicht eben eine geringe Erleichterung – dass meine Entscheidung, den Kontakt zu ihm abzubrechen, absolut richtig und für mich gesund war.

De mortuis nil nisi bene
?

Blödsinn! Sagt die Wahrheit. Die Wahrheit macht Euch frei.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 4

Latest Images

Trending Articles





Latest Images